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Lacerta sicula coerulea, die blaue Eidechse von Capri

Von Dr. ERICH ABEL (1954) --- Mit Abbildungen

Jeder Herpetologe hat wohl einmal den Wunsch, einige der dunklen Inseleidechsen zu besitzen, wie sie uns in Gestalt der blauen Eidechsen von Capri entgegentreten. Diese Tiere bewohnen ausschließlich die beiden Faraglionitürme, welche als steile Felsriffe unweit vom Festland von Capri aus dem Meer ragen. Seitdem Theodor Eimer im Jahre 1872 Lacerta sicula coerulea am äußeren - und Lacerta sicula coerulea-coerulescens am mittleren der Felsgruppe als blaue Rassen der allgemein bekannten italienischen Ruineneidechse (Lacerta sicula sicula) entdeckte, galt das Interesse, sowohl des Wissenschaftlers als auch des Liebhabers, diesen so auffällig gefärbten Tieren. Die Zoologen beschäftigte brennend das Phänomen des aberranten Farbkleides der Inselformen; die Frage nach deren Zustandekommen, Herkunft und Sinn; die Liebhaber wiederum interessierte die Möglichkeit der Beschaffung lebender Tiere, sowie deren Pflege und Zucht.

Restlos geklärt ist wohl nur das Zustandekommen der Farbe, die nach histologischen Untersuchungen durch eine persistierende Verschiebung der Relation und Qualität der Chromatophoren verursacht wird, die das Farbkleid der Eidechsen bestimmen. So sehen wir einerseits eine starke Anreicherung von Melanophoren (Zellen, welche das dunkle, schwarzbraune Pigment "Melanin" führen), anderseits einen Schwund an den rot-gelben Lipophoren, wodurch die dritte Sorte von Farbzellen, die Iridocyten, welche Guanin führen und Strukturfarben hervorrufen, mit dem dunklen Hintergrund der Melanophoren einen blauen Farbeindruck bewirken. Dieser wird bei Anwesenheit der Lipophoren in das Grün verschoben, das wir bei der normalen Lacerta sicula zu sehen gewohnt sind.

Völlig problematisch sind jedoch Ursache und Sinn dieser abweichenden Färbung, die nachweislich vererbt wird und somit keine Standortmodifikation einer Eidechse darstellt, die nur wenige hundert Meter von ihrere Ausgangsform lebt, von der sie vor wahrscheinlich einigen tausend Jahren durch das Meer abgeschnitten wurde.

Kammerer und andere Forscher zogen eine Vererbung erworbener Eigenschaften in Erwägung, wobei die Tatsache des physiologischen Farbwechsels als Steigbügel diente. Diese Farbänderung bei Tieren wird durch Umwelteinflüsse und innere Faktoren verursacht, tritt rasch auf und wird nach der Meinung dieser Forscher erheblich fixiert. Als Ursache werden abweichende Ernährung, Kannibalismus, Trinken von Salzwasser, Licht und Wärmestrahlung, direkte Anpassung an die Umgebung usw. ins Treffen geführt. Abgesehen davon, daß die Verifikation der Vererbung erworbener Eigenschaften noch aussteht und diese Diskusionen erst in neuester Zeit wieder schüchtern aufzuflackern beginnen, wäre a priori manches gegen die angeführten Umstände zu sagen.

Die neuere Forschung nimmt eine Veränderung (Mutation) der Erbmasse an, welche die dunkle Farbe bewirkte. Wieso tritt nun diese Mutation gerade bei Inselformen auf?

Eisentraut glaubt in der ausgefallenen pflanzlichen Ernährung von Inseleidechsen die Ursache eines geänderten Stoffwechselzustandes zu sehen, der mutativen Farbumschlag bewirkte; andere Forscher sprechen von verschiedenem Klima der Inseln usw.

Bei allen diesen Fragen -, kamen die Zustände auf den Faraglioniklippen fast nie zur Sprache, da die Ersteigung dieser Felsen, um mit Tofohr zu sprechen:"...nur mit Lebensgefahr verbunden ist und überdies der Seegang jedem Landungsversuch spottet."

So faßte ich vor drei Jahren den Entschluß, mit meiner klettergewohnten Frau eine Besteigung der Faraglioni zu versuchen, um mich über die dort herschenden Verhältnisse zu informieren. Als wir, Anfang September 1951 auf Capri angekommen, zum erstenmal die steilen, kühn geformten Felstürme erblickten, war uns recht elend zumute. Überall stürzte senkrechter glatter Fels ins Meer, der nirgends eine Anstiegmöglichkeit verriet. Nur wenige Fischer, die den Weg wissen und barfuß hinaufklettern, riskieren den Hals, und es ist verständlich, daß die blauen Eidechsen nicht gerade billig sind.

Wir versuchten durch ein Erkundungsschwimmen an der Westseite der Riffe eine Archillesferse im glatten Gemäuer zu finden und beschlossen einen Aufstieg bei einer seichten Kerbe an der Südseite des äußeren Faraglione zu wagen. Bis zum nächsten Tag studierten wir die Felsbrücke, die den ersten Faraglione mit dem Festland von Capri verbindet, und über welche ein Austausch der Eidechsenpopulationen theoretisch stattfinden könnte. Jedenfalls scheint es auffällig, daß auf diesem Felsen keine blau gefärbten Tiere vorkommen. Diese finden sich nur auf den isolierten mittleren und äuseren Faraglione, wo kein Austauschen mit den Capriformen möglich ist.

Am nächsten Tag schaukelten wir, mit Kletterzeug, Fanggerät und Kameras bewaffnet, am frühen Morgen im Schlauchboot dem höchsten und steilsten Faraglione entgegen. An unserer Kerbe angelangt, mußten wir an die Worte Tofohrs denken; der meterhohe Seegang machte uns schwer zu schaffen, und es gelang uns erst nach einer halben Stunde Fuß zu fassen, das Boot und uns selbst anzuseilen und die Begehung zu versuchen. Diese stellte auf fast senkrechter Wand von etwa 90 m Höhe eine recht schwierige und ausgesetzte Kletterfahrt dar, wobei man stellenweise während des Spreizens durch die Beine hindurch das Meer sehen konnte.

Die Bezwingung des Gipfels wurde etwa eine Seillänge unterhalb desselbens durch eine dachziegelartig über die Wand hinaushängende Platte verhindert, welche nur durch "Robben" und Reibung zu überwinden gewesen währe. In Anbetracht meiner kurzen Hose und der messerscharfen Zacken des Felsens, nahm ich davon Abstand, und so kehrten wir schweren Herzens um. Den Abstieg auf der nunmer von der Sonne heißbestrahlten Wand, wurde durch Abseilen beschleunigt, und schließlich stießen wir in etwa 50 m Höhe am einzigen schmalen Grasband, das etwa 1 m breit und 7 m lang ist, auf blaue Eidechsen. Nachdem es geglückt war, ein Tier mittels Schlinge zu fangen, kletterten wir zum Schlauchboot ab, das der Wellengang inzwischen durchgescheuert hatte, und sich nunmehr als sehr unzweckmäßiges Fahrzeug erwies.

Schließlich brachte uns ein Motorboot noch vor unfreiwilligem Bad in trockene Sicherheit.

Am nächsten Tag gelang die Besteigung des mittleren Faraglione, den wir bis zur Spitze absuchten und dabei 13 Exemplare der Lacerta sic. coerulea-coerulescens fingen.>

Die Besteigung der Felsen brachte manche wertvollen Ergebnisse und Beobachtungen, die Aufschluß über das Leben der Tiere und Ihre Umwelt geben und damit auch für das Problem der Färbung interessant erscheinen. Meiner Beobachtung nach war die Färbung der Tiere von beiden Felsen leicht verschieden. So waren die vom äußersten Faraglione dunkler und ließen am Rücken keine schwarze Zeichnung erkennen, wie dies bei den Eidechsen des mittleren Felsens der Fall war. Diese zeigten überdies (mit einer einzigen Ausnahme) einen deutlich grünen Anflug an der Schwanzwurzel und an den Insertionsstellen der Hinterextremitäten. Ein Physiologischer Farbwechsel tritt sehr bald ein. Eine Woche nach Fang der Tiere gelang es mir nicht mehr, das eine Exemplar vom äußersten Felsen an seiner satteren Farbe von den übrigen zu unterscheiden. Daß die Farbmutation eine ernährungsphysiologische Ursache hat, wie dies Eisentraut annimmt, scheint mir im vorliegenden Fall nicht zutreffend, denn ich fand reichlich Fliegen, Käfer, Asseln und Ameisen. Dasselbe Ergebnis zeigte Mertens bei einem Besuch der Galliinseln, wo ebenfalls dunkle Eidechsen vorkommen. Auch Kannibalismus darf nicht angenommen werden, denn von etwa 50 gesichteten Tieren wies nicht ein einziges eine Regeneration des Schwanzes auf, und die grün gefärbten Jungtiere wurden von den adulten Echsen nie behelligt. Diese siedeln ab einer Höhe von 15 m über dem Meeresspiegel, wo die Vegetation beginnt und weisen einen deutlichen Weibchenüberschuß auf. Von der berühmten Zahmheit war nichts zu bermerken.

Abb. 1: Mittlerer und äußerer Faraglione-Felsen, der Lebensraum der blauen Eidechse von Capri; von Osten gesehen. - phot.: Verf.

Abb. 2: Dasselbe, von Norden gesehen. Der mittlere ist etwa 30 m niedriger. - phot.: Verf.

Abb. 3: Klettern am Südhang des äußeren Faraglione. - phot.: Verf.

Abb. 4: Lacerta sicula coerulea coerulescens vom mittleren Faraglione, mit der Drahtschlinge gefangen. - phot.: Verf.

Abb. 5: Lacerta sicula coerulea, sich sonnend. - phot.: Verf.

Abb. 6: Lacerta s. sicula, die Mauereidechse Italiens, von der die “Blaue” abstammt. - phot.: Verf.

Auch Klima, Pflanzenwuchs usw. zeigten durchaus keine Unterschiede zum Festland, wodurch irgendwelche bestimmte Inselfaktoren als Färbungsursache nicht in Frage kommen. So hatten auch die blauen Eidechsen das Bestreben, sich nach drei Stunden Sonnenbestrahlung zurückzuziehen, da sie nicht einfach aktiv eine helle Farbe annehmen können, wie z.B. die Bartagame (Amphibolorus barbatus) bei stärkerer Bestrahlung. Andererseits liegt die Morgentemperatur im September bei 15° C, und Mertens weist sicher zu Recht auf den möglicherweise auslesenden Wert des dunklen Farbkleides hin, das die Tiere rascher erwärmt und in gleichmäßig heißen Klimaten fehlt. Kramer sieht wieder in der dunklen Pigmentierung einen Schutz gegen zu starke Erwärmung, und manche Forscher bestreiten einen Wert der Dunkelfärbung. Dies dürfte, wenn wir alle Faktoren berücksichtigen, in einer Mutation beruhen, die aus noch ungeklärten Ursachen bei vielen Formen auftritt und sich in isolierten Populationen, auf lange Zeiträume gesehen, besonders gut durchsetzen kann (zumal wenn sie auslesenden Wert besitzt). Denn die isolierten Tiere der Inseln kreuzen sich stets nur untereinander und haben keine Möglichkeit, dieses Merkmal durch Vermischung mit nicht mutierten Beständen einzubüßen.

 

Verfasser: Dr. Erich Abel.

Liebe Eidechsenfreunde, mit der freundlichen Genehmigung der DATZ kann der folgende Bericht aus dem Jahre 1954 auf dieser Seite veröffentlicht werden.
Als Vorlage diente eine Originalausgabe der DATZ (herpetologisches Literaturarchiv - Rolf Großhans).